„BRÜCKEN DES VERTRAUENS SCHLAGEN“:
EINFÜHRUNG IN DIESES BUCH
I. EUROPA ENTDECKT DIE RELIGIONEN DER WELT: HISTORISCHE STREIFLICHTER
1. Begegnung als Konfrontation: Erfahrungen mit dem Islam
2. Juden, Christen, Muslime: Eine Geschichte wechselseitiger Verwerfung
3. Missionarische „Dialoge“ – mit Blick nach vorn
4. Wann der Dialog beginnt
5. Neue Wahrnehmungen von Judentum und Islam in Europa
6. Islam und Moderne vereinbar? Reformer in der Welt des Islam
7. Christentum in Indien: Inkulturation und Entfremdung
8. Die Ironie des Missionarismus
9. Indien kommt zurück: die Entstehung des Neohinduismus
10. Europa studiert Indien: die Anfänge der Indologie
11. Woraus besteht Dialogkompetenz? Herder und der Fall Indien
12. Marco Polo und Matteo Ricci: Zwei Italiener „entdecken“ China
13. Ein „vergoldetes“ China-Bild: Leibniz und der Konfuzianismus
14. Ein Skandal um China in Halle: Der „Fall Wolff“ 1721
15. Der Bruch China-Christentum: Der „Ritenstreit“
16. Von der Sinophilie über die Sinokritik zur Sinophobie
17. Deutschland „entdeckt“ die chinesischen Klassiker
18. Die Ankunft des Buddha im Westen
II. VIVEKANANDA (1863-1902): INDIEN KOMMT IN DEN WESTEN
1. Kiel 1896: Paul Deussen und ein Besucher aus Indie
2. Die doppelte geistige Herkunft
3. Was meint „Vedanta“?
4. Was ist eine „Advaita“-Erfahrung?
5. Ramakrishna und die Sehnsucht nach Gottesschau
6. Ramakrishna trifft Vivekananda: 1881
7. Das „Parlament der Religionen“, Chicago 1893
8. Vivekanandas Auftritt in Chicago 1893
9. Der Hinduismus als „universale Religion“
10. Deusens Werbe-Rede für Vedanta: Bombay 1893
11. Vedanta und die Nächstenliebe: Vivekananda übernimmt Deussen
12. Der Besuch in Kiel – und die Folgen?
13. Vivekanandas Missionswerk
14. Ein Heiliger? Deussens Ironie
III. RICHARD WILHELM (1873-1930): VOM CHINA-MISSIONAR EUROPAS ZU CHINAS „MISSIONAR“ IN EUROPA
1. „Endlich ein Mensch“: die Begegnung mit Christoph Blumhardt
2. Als Missionar nach China
3. Ein „Wendepunkt der Missionsgeschichte“
4. „Chinese mit den Chinesen werden“
5. Boxeraufstand und Hunnenrede
6. Gründung einer Konfuzius-Gesellschaft
7. Auf dem Weg zu einem China-Missionar in Europa
8. Konfuzius-Verachtung im Westen
9. Konfuzius-Verherrlichung in China
10. Ein „Großer der Menschheit“: Wilhelms Konfuzius-Bild
11. Konfuzianismus als Christentumskritik
12. Wilhelms Bild von Laotse und dem „Tao te king“
13. Ein Kultur- und Religionsdialog „auf Augenhöhe“
14. Ein „Zukunftseuropäer“
IV. HERMANN HESSE (1877-1962): AUF DER SUCHE NACH EINER GEISTIGEN EINHEIT DER WELT
1. Die Suche nach der eigenen Religion
2. Der „asiatische Einheitsgedanke“
3. Reisen nach „Indien“ und die Folgen?
4. Ein Traum: Vom „Umzug der Götter zwischen Kirche und Tempel“
5. Die Erfahrung der Spaltungen und Brüche
6. Eine „indische Dichtung“ als Lösung? Der Roman »SIddhartha«
7. Die „Bhagavad Gita“ und der Weltkrieg
8. Das Liebesethos in „Siddhartha“ – indisch?
9. „Näher bei Laotse“: Hesse und China
10. Tao, Tübingen und Johannes Hesse
11. Wie man Nervtöter besiegt: Hesse als Kurgast
12. Das Lachen des Steppenwolfs und ein Bund von „Morgenlandfahrern“
13. Eine „Weltsprache des Geistigen“: „Das Glasperlenspiel“
14. China, die Musik und das „I Ging“
15. Lebensläufe als Bewusstseinsstufen
16. Altersweisheit: Späte Lyrik im Geist des Zen
17. Hesses Bedeutung für den interreligiösen Dialog
V. MAHATMA GANDHI (1869-1948): VERSÖHNUNG DER RELIGIONEN AUS DEM GEIST DES HINDUISMUS
1. Exodus 1888: London und die Foigen
2. Südafrika 1893: Trauma Rassismus
3. Gewaltloser Widerstand: ein Lebensdrama in sieben Akten
4. Das Freilegen der religiösen Wurzeln: Die „Autobiographie“
5. Gandhi und das Christentum
6 .Gandhi und Tolstoi
7. Gandhi und der Islam
8. Gandhi und die Bhagavadgita
9. Gandhi und die Religionen
10. Gandhi und die „Kinder Gottes“
11. Triumph und Tragödie des Mahatma Gandhi
VI. THICH NHAT HANH (geb.1926): VORKÄMPFER EINES „SOZIAL ENGAGIERTEN“ BUDDHISMUS
1. Buddhismus als Weltflucht?
2. Buddhismus als Weltgestaltung: Neue Signale
3. Thich Nhat Hanh und der Krieg in Vietnam
4. Thomas Mertons Verbrüderung und ein Brief an Martin Luther King
5. Der Orden des „Interseins“
6. Befreiungsethische Transformation des Buddhismus
7. Freiheit in der Welt von der Welt
8. Das spezifische Profil eines „engagierten Buddhismus“
9. Jesus und Buddha – zwei Brüder im Geist?
10. Thich Nhat Hanh als „Vordenker“
VII. HUGO ENOMIYA-LASSALLE (1898-1990 ): CHRISTENTUM UND ZEN-BUDDHISMUS – VERSÖHNBAR?
1. August 1945: Hiroshima und die Bombe
2. 1929: als Jesuitenmissionar nach Japan
3. Ein Land im Größenwahn und die Slums von Tokio
4. Japan und Zen
5. Februar 1943: Die erste Zen-Praxis
6. Nach Hiroshima: Christen und Buddhisten für den Frieden
7. Zen-Praxis unter Häresieverdacht: der Konflikt mit dem Orden
8. Zen und die christliche Spiritualität: ein Stufenmodell
9. Das Konzil über den Buddhismus – Lassalle in der Krise
10. Zen in der Kritik: eine Debatte im Jahre 2010
11. „Pionier des Dialogs“: was Enomiya-Lassale vorausgedacht hat
VIII. THOMAS MERTON (1915-1968): MÖNCH UND POET IM SPANNUNGSFELD VON CHRISTUS, BUDDHA UND TAO
1. 1968: Tod in Bangkok
2. Die letzte Rede: Marxismus, Christentum, Buddhismus
3. Ein exzentrisches Leben
4. Trappistenmönch in Gethsemani, Kentucky
5. Die Mitte gefunden – Spannungen und Konflikte bleiben
6. In der Nachfolge Gandhis: Politik aus Spiritualität
7. Eremit und Aktivist: eine „verrückte Existenz“?
8. Die Brücke von christlicher zu östlicher Spiritualität
9. Entdeckungen im Taoismus
10. Entdeckungen im Zen-Buddhismus
11. Das unaufhebbar Christliche
12. Ein Erlebnis vor den Buddhas in Polonnaruwa/ Sri Lanka
13. Die letzte Rede: Über das Trennende hinaus
IX. MARTIN BUBER (1878-1965): Das „PRINZIP DIALOG“: KONSEQUENZEN FÜR JUDEN UND CHRISTEN
1. „Fremdandacht“: Prägende frühe Erfahrungen mit Christen
2. „Jüdische Renaissance“ – Konsequenzen für das Christentum
3. Bubers Bild von Jesus
4. Deutschtum und Judentum – vereinbar? Der „Fall Kittel“
5. „Die Welt ist unerlöst“: Ablehnung der Messianität Jesu
6. Von Zwiesprache und Begegnungen: „Ich und Du“ (1923)
7. Was sind „echte Religionsgespräche“?
8. Wechselseitige Anerkennung der „grundverschiedenen Gottesgeheimnisse“
9. Der ungekündigte Bund Gottes mit Israel
10. Bibelverdeutschung: Bubers Vermächtnis an Juden und Christen
11. „Zu Gott demütig werden“: Bubers Grundhaltung zu den Religionen
X. ABRAHAM J. HESCHEL (1907-1972): „KEINE RELIGION EINE INSEL“: INTERRELIGIÖSER DIALOG AUS DEM GEIST DES JUDENTUMS
1. Heschel und Merton: Ein Treffen Rabbi und Mönch, Gethsemani 1964
2. Herkunft: Die Welt des Chassidismus
3. Engagiert für die Bürgerrechtsbewegung
4. Heschel und das Konzil: Auf dem Weg zu einer „Judenerklärung“
5. Heschels „Memorandum“, eine Tischrede für Kardinal Bea und die Trauer um einen Papst
6. Der Kampf um die „Judenerklärung“ des Konzils
7. Gefahr im Verzug: Heschel bei Paul VI. und die „Bombe“ vom Oktober 1964
8. Das Konzil über die Juden: „Nostra aetate Nr.4“ – und Heschel?
9. „Keine Religion ist eine Insel“ – die neue ökumenische Lage
10. Die Gegenwart Gottes in jedem Menschen
11. Was ist der Zweck interreligiöser Zusammenarbeit?
12. Eine prophetische Vision für den Nahen Osten
XI. LOUIS MASSIGNON (1883-1962): FÜR EINE „KOPERNIKANISCHE WENDE“ IM VERHÄLTNIS VON JUDEN, CHRISTEN UND MUSLIMEN IM GEIST FRANZ VON ASSISIS UND CHARLES DE FOUCAULDS
1. Damiette 1219: Franz von Assisi vor einem muslimischen Sultan
2. Der „Apostel der Sahara“ und der Islam: Charles de Foucauld (1858-1916)
3. Bagdad 1908: Die Bekehrung des Louis Massignon
4. Die Entdeckung des islamischen Mystik
5. Ketzer oder Märtyrer: Wer ist a-Hallaj?
6. „Stellvertretung“: Massignon in Damiette 1934
7. Der Ausgangspunkt: Die theologische Ausgrenzung des Islam
8. Abraham und die Kraft von Gastfreundschaft und Gebet
9. Abrahams „Gebet für Ismael“ – und die Folgen?
10. Die „positive Sendung“ des Islam gegenüber Juden und Christen
11. Massignon, Vaticanum II und die Muslime
XII. HANS KÜNG (geb.1928): VOM „HEIL FÜR NICHTCHRISTEN“ ZUM ETHOS DER EINEN MENSCHHEIT
1. Das Konzil und die Herausforderung der Weltkulturen
2. Christenheit als Minderheit unter den Weltreligionen
3. Die Weltreligionen als Horizont und Herausforderung des Christseins
4. Maßnehmen an Jesus
5. Jesus im Vergleich der Religionsstifter
6. Gott-Denken: die Herausforderung der Religionskritik
7. Gott-Denken im Dialog der Religionen
8. Weltreligionen und Weltfrieden
9. Auf dem Weg zu einem Weltethos
10. Das „Projekt Weltethos“ : Antwort auf die Herausforderung der Globalisierung
11. Die „Erklärung zum Weltethos“: Verständnisse und Missverständnisse
12. Am Ende der Geschichte – keine Religion, sondern „der eine Unaussprechliche“
Vorwort:
„BRÜCKEN DES VERTRAUENS SCHLAGEN“: ZUR EINFÜHRUNG IN DIESES BUCH
Angesichts der heutigen Weltsituation ist der Dialog der Religionen ein dringendes Erfordernis, religionstheologisch, aber auch gesellschafts- und bildungspolitisch. Das ist mittlerweile von vielen begriffen worden. Dialogführen aber setzt Dialogkompetenz voraus.. und diese kann auf sehr unterschiedliche Weise erworben werden, unter anderem auch dadurch, dass man sich Rechenschaft gibt über die Geschichte interreligiöser Verständigung. Sie ist noch relativ jung. Und sie ist unlösbar verknüpft mit Pioniergestalten und Vordenkern, die – oft gegen heftige Widerstände aus ihren jeweiligen Traditionen – erst die Grundlagen dafür schaffen mussten, damit es zu fruchtbaren Begegnungen und wechselseitigen Bereicherungen von Menschen verschiedener Religionen überhaupt kommen konnte.
Machen wir uns klar:
Erst 100 Jahre ist es her, dass zum Beispiel ein Mann wie Richard Wilhelm die großen chinesischen Klassiker ins Deutsche übertrug und damit wie kaum ein anderer zuvor Brücken baute zwischen China und dem deutschen Sprachraum.
Erst 80 Jahre ist es her, dass ein Schriftsteller wie Hermann Hesse eine „indische Dichtung“ unter dem Titel „Siddhartha“ vorlegte, die ungezählten Lesern im Westen die Welt von Hinduismus und Buddhismus zu erschließen half. Eine Welt , die durch intellektuell bestechende Denker wie Swami Vivekananda und charismatische Führer und interreligiöse Versöhner wie Mahatma Gandhi glänzend repräsentiert ist.
Erst 70 Jahre ist es her, dass ein jüdischer Denker wie Martin Buber Bahnbrechendes zum “Dialogischen Prinzip” veröffentliche und eine gleichberechtigtes Nebeneinander von Israel und Kirche vor Gott zu denken riskierte.
Erst 60 Jahre ist es her, dass ein großer französischer Islamwissenschaftler mit Namen Louis Massignon die abrahamische Wurzel von Judentum, Christentum und Islam neu freilegte und daraus Konsequenzen zog für eine „kopernikanische Wende“ im Verhältnis von Juden, Christen und Muslimen.
Erst 50 Jahre ist es her, dass ein deutscher Jesuit mit Namen Hugo Enomiya-Lassalle in Japan eine kühne Verbindung von Zen-Buddhismus und Christentum wagte, die es heute ungezählten Christen ermöglicht, buddhistische Meditation und christliches Gebet widerspruchsfrei zusammen zu praktizieren.
Nur 50 Jahre sind vergangen, dass ein charismatischer Buddhist aus Vietnam, Thich Nhat Hanh, unter dem Eindruck des mörderischen Vietnam-Kriegs den Buddhhismus politisch und gesellschaftlich weiterzudenken begann und so eine Bewegung mit in Gang setzte, die wir heute als „sozial engagierten Buddhimsus“ kennen und der die buddhistische Welt von innen heraus stärker verändert hat als vieles andere
Ebenso erst gut fünfzig Jahre ist es her, dass das 2. Vatikanische Konzil zu Ende ging. Es verabschiedet erstmals in der Geschichte der katholischen Kirche eine Erklärung „Über die Beziehungen der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ („Nostra aetate“) und fordert hier „gegenseitiges Verstehen“, „Gespräche und Zusammenarbeit mit den Anhängern anderer Religionen“. Jüdische Gelehrte wie Abraham Joshua Heschel haben daran ebenso ihren Anteil wie katholische Denker: Thomas Merton und Hans Küng, die je auf ihre Weise Konsequenzen für eine Theologie des interreligiösen Gesprächs zogen.
Die Geschichte interreligiöser Verständigung wird in diesem Buch mit Hilfe von Einzelportraits erzählt. Das bietet die Chance, die Sache narrativ und reflexiv zugleich zu präsentieren. Denn hinter jeder der hier portraitierten Figuren steht eine oft dramatische Lebensgeschichte, gezeichnet von Abbrüchen und Aufbrüchen, von Konflikten und Kämpfen. Wie viel an Widerständen aus religiösen Milieus musste erst abgebaut und überwunden werden – nach Jahrhunderten der Ignoranz oder Arroganz. Nach Zeiten somit, in denen man in Europa von der Existenz anderer großer Kulturen und Religionen kaum Ahnung hatte oder sie dann, als man sie „entdeckte“, mit einer offensiven Mischung aus Kolonialismus und Missionarismus überzog.
Der Portraitcharakter des Buches wird grundsätzlich auch die Lektüre erleichtern. Man kann im Prinzip bei jedem der Portraits einsteigen. Jedes ist in sich abgeschlossen und kann aus sich heraus verstanden werden. Nur das erste Kapitel mit den „Historischen Streiflichtern“ bildet eine Ausnahme. Aber es ist unverzichtbar, denn es bietet die nötigen geschichtlichen Überblicks- und Hintergrundinformationen, ohne welche die folgenden Kapitel „in der Luft“ hingen. Hier muss ich meinen Leserinnen und Lesern einiges zumuten, denn die Darstellung auf knappem Raum musste sehr dicht sein; eine Fülle von Informationen über Namen und Daten musste geboten werden, um wenigstens Grundzüge der Begegnungsgeschichte der Religionen zu zeigen. In den Portraits dagegen kann breiter erzählt werden. Sie sind zweifellos „spannender“, weil sie immer auch eine Geschichte erzählen können: Geschichte im Spiegel von Geschichten.
Und diese Geschichte zeigt: Nicht den Traditionswächtern gehört die Zukunft, sondern den Kühnen und Mutigen. Sie gehört Menschen, die zusammenbringen, was früher getrennt; die Lebenswege gehen, die früher versperrt waren. Menschen somit, die zu Wandlungen und Weiterentwicklungen fähig sind. Vor-Denkern eben, die anderen voraus sind in Problembewusstsein und Lösungsversuchen. Ihre Geschichte offen legen, heißt, eine Geschichte der Hoffnung erzählen, deren Pointe lautet: Neue Wege zu gehen ist möglich, allen Konflikten, Widerständen, Verurteilungen und Ausgrenzungen zum Trotz. Es hat Menschen gegeben, die diese Wege gegangen sind: das will dieses Buch zeigen. Sie ermutigen zur Nachfolge – heute und in Zukunft! Die Orientalistin Annemarie Schimmel, die mehr für den dialogischen Austausch Orient – Okzident getan hat als andere, hat nicht zufällig ihre interkulturell Arbeit unter einen Vers des großen Lyrikers Gottfried Benn gestellt: „Mein Hauptaufgabe sehe ich, wie es in einem Gedicht von Gottfried Benn heißt, im ‚Brückenschlagen’ zwischen den Welten, erklärt sie einmal in einem Gespräch mit der Publizistin Felizitas von Schönborn (Spiegelungen des Islam. Die Grande Dame der Orientalistik im Gespräch, Berlin 2002, S. 109). Für diesen Dialog braucht man in der Tat Menschen – so der frühere Bundespräsident Roman Herzog – „die zwischen den Kulturen wandern und über sie Wissen vermitteln, die bereit und imstande sind, sich auch in fremde Begrifflichkeiten und Erfahrungswelten hineinzudenken und das so Gelernte weiterzuvermitteln, die auf diese Weise Brücken des Vertrauens bauen.“ (Wider den Kampf der Kulturen, Frankfurt/M 1999, S.28) Das schöne Wort Benns „Leben ist Brückenschlagen“ stammt aus dem 1949 entstandenen Gedicht „Epilog I“. Ich habe es zum Titel dieses Buches gemacht.
Die Auswahl der „Köpfe“? Nicht „repräsentativ“ will sie sein, schon gar nicht „vollständig“. Manche „Köpfe“ wird man vermissen. Exemplarisch soll die Auswahl sein. Auch soll sie möglichst alle religiösen Traditionen der Menschheit berühren: die Religionen Indiens und Chinas genauso wie die Religionen nahöstlichen Ursprungs: Judentum, Christentum und Islam. Dabei zeigen „Köpfe“ nie die ganze Gestalt, wollen sie nicht zeigen. Ein Portrait ist ein bewusst gewählter Ausschnitt. Im Gesicht eines Menschen zeigt sich nicht alles, oft aber etwas Entscheidende. Portraits wollen der jeweiligen Person durchaus gerecht werden, stets aber in subjektiver Färbung, in kalkulierter Perspektivität. Das macht ihre Begrenztheit, aber auch ihren Reiz aus. Gerade auch für die hier entworfenen Portraits soll gelten: Der persönliche Zugang ist nicht verleugnet, ist bewusst sichtbar geblieben. Es sind „meine“ Persönlichkeits-Skizzen, die ich hier vorlege. Zugleich sind sie eine Einladung, in die Welt der Vordenker einzutauchen und eigene Entdeckungen zu machen, Inspirationen zu erfahren für eigenes Denken außerhalb des Gewohnten und Eingefahrenen.
Dasselbe gilt auch für den stilistischen Charakter der Texte. Sie wurden ursprünglich für meine Vorlesung geschrieben, die ich im Wintersemester 2010/11 an der Universität Tübingen im „Studium Generale“ gehalten habe. Die überwältigende Resonanz des Publikums hat mich gerührt, gestärkt und angespornt. Nicht zuletzt hat sie mich bewogen, die Vorlesungen nun auch in Buchform vorzulegen und dieses Buch den Menschen zu widmen, die mir Woche für Woche im Hörsaal 25 des Kupferbaus der Universität ihre Aufmerksamkeit schenkten. Für den Druck habe ich die Texte noch einmal gründlich überarbeitet und ergänzt, ihnen aber bewusst ihren Vorlesungscharakter gelassen.
Ich sehe mich darin bestätigt durch einen großen Gelehrten wie Friedrich Max Müller (1823-1900), in Dessau geboren, an der Universität Oxford lehrend, wo er sich zu einem der bedeutendsten Indologen und Religionsgeschichtler unserer Zeit entwickelt. Als Herausgeber des gewaltigen, 50 Bände umfassenden Editionsprojekts „The Sacred Books of the East“ (1879-1910) genießt er bis heute einen legendären Ruf. Als Müller 1884 seine Aufsehen erregenden Vorlesungen unter dem (damals provozierenden) Titel „India – What can it teach us?“ veröffentlicht, erklärter dies in einem Vorwort seinen Lesern so: „Ich liebe die Form der Vorlesungen, weil sie mir die natürlichste Form zu sein scheint, welche man in unserem Zeitalter bei der Verarbeitung eines wissenschaftlichen Stoffes wählen kann … die Vorteile überwiegen die Nachteile. Indem die Vorlesung uns beständig eine kritische Versammlung vor Augen hält, zwingt sie uns, den Gegenstand zusammenzudrängen, zu unterscheiden zwischen dem was wichtig und unwichtig ist und uns oft das Vergnügen zu versagen, uns über dasjenige auszubreiten, was uns die größte Anstrengung gekostet haben mag, für andere Forscher aber von geringer Bedeutung ist. Beim Vortrage werden wir beständig an das erinnert, was die Gelehrten nur zu leicht vergessen, dass ihr Wissen nicht nur für sie selbst da ist, sondern auch Anderen zu gute kommen soll und dass gut wissen soviel heißt wie gut lehren.“
Tübingen, im Juli 2011
Karl –Josef Kuschel