Rundschreiben des neuen Präsidenten der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft an alle Mitglieder der Gesellschaft, Mai 2015

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 9. Mai haben mich die anwesenden Mitglieder bei der diesjährigen Jahresversammlung auf vier Jahre zum neuen Präsidenten unserer Gesellschaft gewählt. Ein großes Zeichen des Vertrauens, für das ich dankbar bin. Ich wende mich in diesem Schreiben an alle Mitglieder der Gesellschaft auch noch einmal persönlich, um mich vorzustellen und anzudeuten, welche Schwerpunkte Sie in meiner Präsidentschaft für die Gesellschaft erwarten können.

Zunächst aber gilt mein Dank dem bisherigen Präsidenten, Dr. Klaus von Trotha. Er hat die Gesellschaft seit ihrer Gründung 13 Jahre lang geleitet. Unter seiner Führung hat diejenige Struktur der Gesellschaft Gestalt gewonnen, von der wir heute profitieren. Ich nenne nur die Editionen, das Jahrbuch, die jährliche Bibliographie, die Tagungen und die regelmäßige Mitgliederpflege, vor allem aber auch die jetzt mögliche enge Zusammenarbeit der drei Deutschland und die Schweiz verbindenden Hesse-Stätten Calw – Gaienhofen – Collina d’Oro. Herr von Trotha konnte dabei nicht nur das Gewicht seiner Persönlichkeit, sondern auch all seine Erfahrungen einbringen, die er als aktiver Politiker in hohen Ämtern hatte sammeln können. Die Gesellschaft ist ihm zu großem Dank verpflichtet. Die Mitgliederversammlung hat ihn auf Antrag des Vorstands zum Ehrenmitglied ernannt.

All das, was erreicht wurde, wird auch in den nächsten Jahren weitergehen, zumal zu meiner Freude und Erleichterung bei der Mitgliederversammlung das bisherige Präsidium mit den bewährten Persönlichkeiten auf vier Jahre wiedergewählt wurde. Das gilt insbesondere für Hans-Martin Dittus, der seine gute Arbeit als Geschäftsführer der Gesellschaft ebenfalls in den nächsten vier Jahren weiterführen wird.

Kam der bisherige Präsident mehr aus dem Raum von Politik und Gesellschaft, so komme ich mehr aus dem Raum der Universität und der Wissenschaft. Ich bin Literaturwissenschaftler und Theologe und war bis zu meinem Übergang in den „Ruhestand“ im Jahr 2013 Professor an der Fakultät für Kath. Theologie der Universität Tübingen. Mein Fachgebiet war und ist: „Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs“. „Theologie der Kultur“ meint die Auswertung künstlerischer Lebenszeugnisse, insbesondere der Literatur, für anthropologische und theologische Grundfragen. Beim „interreligiösen Dialog“ liegt mein Schwerpunkt bisher auf den monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam und ihren inneren Verbindungen. In beiden Arbeitsfeldern habe ich zahlreiche Publikationen vorgelegt.

Das Werk von Hermann Hesse beschäftigt mich seit vielen Jahren. Ich habe über Hesse publiziert, Vorlesungen, Seminare und Vorträge gehalten, Dissertationen betreut, habe die Hesse-Stätten vor allem in Calw und Gaienhofen öfter besucht, zusammen auch mit Gruppen, die ich geführt habe. Besonders gern erinnere ich mich an zwei Kompaktseminare mit meinen Studierenden zum „Glasperlenspiel“ am Bodensee in der Nähe von Gaienhofen mit Besuchen in den beiden Hesse-Häusern, die jetzt dort zu besichtigen sind. In einem Fall hatte die Familie Eberwein uns gestattet, eine Seminarsitzung in Hesses altem Arbeitszimmer im ersten Stock des zweiten Hauses abzuhalten, für die Studierenden ein besonderes Erlebnis.

Die intensive Beschäftigung mit Leben und Werk von Hermann Hesse kam und kommt bei mir aus der Überzeugung, dass es für meine wissenschaftlichen Themen, insbesondere für die Erforschung des Dialogs der Kulturen und Religionen, keinen wichtigeren Autor in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts gibt als Hermann Hesse. Er ist ein einzigartiger Vordenker des Gesprächs der Religionen, insbesondere im Blick auf die Religionen Asiens, Hinduismus, Buddhismus und Taoismus. Viele bei uns haben noch vor sich, was Hesse für sich erarbeitet hat. Die „Weltsprache des Geistes“ zu erlernen, so die Vision des „Glasperlenspiels“, ist ein uneingelöstes Desiderat.

Deshalb betrachte ich es als Präsident der IHHG als meine besondere Aufgabe, die Bedeutung des Werkes von Hermann Hesse für den Dialog der Kulturen und Religionen noch stärker in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Wir spüren alle, dass dieser Dialog heute im Zeitalter nie gekannter Interdependenzen der globalen Märkte und des world-wide-web dringender denn je ist. Mit Lippenbekenntnissen ist es nicht getan. Hesses Leben und Werk zeigen, dass man sich interkulturelle und interreligiöse Dialogfähigkeit auch erarbeiten muss. Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.

Kurz: Nicht erwarten können Sie von mir, dass ich zum „Manager“ der Gesellschaft werde. Ich bin und bleibe Wissenschaftler. Wohl aber, dass ich das geistige Vermächtnis Hermann Hesses weiter gründlich erforschen und dann auch nach außen vor allem durch Vorträge und Publikationen engagiert vertreten werde. Und ich werde alle Aktivitäten tatkräftig unterstützen, die durch Forschungen oder Vorträge dem geistigen Vermächtnis dieses großen Schriftstellers zu mehr Resonanz in der Öffentlichkeit verhelfen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich darin Ihrer aller Unterstützung sicher sein könnte.

Ich freue mich auf die neue Aufgabe und sende Ihnen freundliche Grüße

Ihr
Karl-Josef Kuschel
(Prof. Dr. Karl-Josef Kuschel, Tübingen)

PS: Für den Fall, dass Sie mich direkt anschreiben wollen, hier meine e-mail-Adresse: karljosef.kuschel@uni-tuebingen.de

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